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Café Raimundhof

Hier im Café Raimundhof habe ich eine Ecke gleich neben dem Eingang gefunden, in der ich das Lokal überblicke und in Ruhe schreiben kann. Ich höre einen modernen Country im Dreivierteltakt von irgendwo aus den Lautsprechern.

Vor der Theke aus unverputzten Ziegelsteinen, spricht aufgeregt ein Schwarzer mit dünnen Rastalocken in sein Telefon: „Weiß nicht warum sie mich gefragt, habe nix gemacht! Ich frag sie was sie jetzt mit mir machen wollen, sagt Polizist wir bringen dich jetzt um Ja! Echt! Hat er gesagt! Das ist nicht in Ordnung, oder?“

Carl, so nenne ich ihn jetzt, da ich seinen wirklichen Namen noch nicht kenne, sitzt also auf einem ledernen Barhocker und hält ein Schreiben in der Hand, offenbar ein Vernehmungsprotokoll. “Ich sollte nix unterschreiben auf Papier. Ich bin ja so was von blöd!“

Claudia, die Kellnerin, fragt beiläufig zwischen zwei Bissen in ihren Hamburger: „Wo war denn das?“ wohl eher um den Gast bei Laune zu halten. Mit der Antwort zufrieden, widmet sie sich dem Reinigen der Whiskyflaschen, die verkehrt herum in ihren Schnapsspendern hängen.

Wieder wählt Carl eine Nummer auf seinem Handy, das Problem scheint noch lange nicht aus der Welt zu sein. Claudia fertigt inzwischen einen Gast ab, der zahlen will. Sie ist klein und schlank und hat ein sehr schmales Gesicht und ihre dunkelbraunen Haare zu einem lässigen Haarknopf zusammengebunden. Ihr schwarzes breites Stirnband verleih ihr automatisch betriebsame Emsigkeit. Beharrlich widmet sie sich wieder ihren Spirituosen. Alles muss glänzen.

Ich höre das Plätschern des Abwaschwassers als sie den Schwamm ausdrückt. „Was hat Anne gesagt?“ wirft sie einen kurzen Satz zu Carl hinüber.

Der spricht aber schon ins Telefon, offensichtlich mit einem Beamten der Polizei, er lässt den Vorfall nicht auf sich beruhen. „Ich möchte wissen, warum man mich mitgenommen hat. Wie? Montag in die Billrothstrasse soll ich hinkommen? Also gut, am Montag dann, danke, Adieu!“

Carl steckt in engen ausgewaschenen Jeans und hatte eine weite schwarze Kapuzenjacke über seinen schlanken Körper geworfen. „Ich hab doch nix gemacht. Ein Freund ist gestorben in Frankreich. Und ich war bei Freunden um zu trauern. Wir haben eine Flasche Whisky auf ihn getrunken.“

Ich müsste Carl erklären, dass nicht er das Ziel der Observation war, sondern seine Freunde, die sich vielleicht etwas zuschulden kommen haben lassen. Aber ich bin der stille Beobachter, der Unsichtbare diesmal. Diesmal suche ich nicht das Gespräch. Ich suche die Gedanken. Ich suche die Gedanken der Gäste im Café.

Claudia bringt mir Earl Gray mit etwas Milch. Auf ihrem hellvioletten T-Shirt steht in gotischer Schrift „Prahá”.

Das passt sehr gut zu ihrem slawischen Aussehen. Im Hintergrund singt ein französischer Chansonnier. Man versteht das Wort „Formidable!“ „Was heißt formidable?“, fragt sie Carl, in der Meinung, dass er Französisch sprechen können müsste. Das heißt “wunderbar“ fällt einem frisch bedienten Gast ein.

Ich wollte eigentlich Rioja, habe aber automatisch Tee bestellt. Eine Fehlleistung.

Neue Gäste am Tresen. Ein älteres Paar betritt das Lokal, und stellt sich gleich an die Bar. Sie sieht aus wie meine Tante Lilly, graublond, konservativer Haarschnitt, weiße Bluse und ihr Begleiter ist ein riesiger Kerl mit absichtlichem Glatzkopf. Sie begrüßen Carl, der reflexartig sein Handy zur Hand nimmt.

Lilly will mit Carl ins Gespräch kommen und fragt ihn, was er denn so mache: “Jetzt? Oder überhaupt?“ „Na Überhaupt.“

“Ich bin Musiklehrer, ja, ich habe 40 Schüler, 20 in Floridsdorf und 20 in Döbling. Na ja, es geht so, ich komme zurecht.“

Er unterstreicht sein Desinteresse am Gespräch, indem er noch einmal ganz wichtig tut und eine Nummer auf seinem Handy wählt.

Die Stimmen an der Bar werden lauter und lauter, bis sie endlich die Chansons übertönten, die ich schon nicht mehr hören konnte.
Große ältere, glatzköpfige Männer scheinen in Mode gekommen zu sein. Der Neue lächelt eine Grußformel und streichelt freundschaftlich den Rücken der Eingesessenen.

„Ich kenne dich nun schon seit zwanzig Jahren“ versucht Lilly das Gespräch mit Carl wieder aufzunehmen. „Aber du siehst immer noch aus wie fünfzehn, als ich dich zum ersten Mal traf.“ Gelächter. Aber nur kurz, die Glatzen sind beim politischen Tagesgespräch angelangt Kanzler, Präsident, Koalitionsverhandlungen, Grinseteam. Wortfetzen erreichen mich und ich kann mir die Ironie zusammenreimen.

Der freie Platz neben mir füllt sich mit weiteren Afrikanern. Einer mit weißer Baskenmütze begrüßt die Runde mit Handschlag. Sie unterhalten sich auf Französisch mit hartem Akzent.

Carls Geschichte:

Carl kam mit zwölf Jahren nach Wien. Seine Eltern kamen bei einem Überfall auf ihr Dorf um. Rebellische Milizen hatten das halbe Dorf ausgerottet.

Sie stahlen nichts, sie töteten nur. Was hätten sie auch mitnehmen sollen? Die staubige Wäsche? Die verbeulten Aluminiumpfannen? Diese grob geschnitzten Dämonenmasken, die vor jedem Haus wachten?

Carl war mit einigen Freunden am Fluss. Sie suchten nach Schwemmgut im Uferschlamm.

Das hatte ihn und die Jungs gerettet. Von weitem hörten sie das unregelmäßige Knattern der Schüsse und die bellenden Kommandorufe. Sie hatten sich im alten Ford versteckt, der auf einer Schotterbank verrostete. Dem Pickup fehlten die Reifen und irgendjemand hatte die Sitzbänke in seine Wohnung geschleppt. Niemand würde das Wrack durchsuchen, hofften sie. Als sie sich in der Dunkelheit zurück wagten, lebte das Viertel um Carls Elternhütte nicht mehr.

Sein Onkel Bato empfing ihn an den Stufen der Eingangstüre und versperrte ihm den Eingang zur Hütte. “Nicht! Nicht dahin; deine Eltern sind tot. Ich bringe dich zu Tante Isabell nach Boto. Dort kannst du eine Weile bleiben.“

“Ich war damals starr vor Angst, Ich konnte nicht denken und ließ mich vom Onkel in den Holzwagen legen, auf den er alles Mögliche aus dem Besitz meiner Eltern aufgeladen hatte.“

„Der Ochse brauchte wohl die ganze Nacht bis Boto.
Ich schlief nicht, ich zählte die Sterne, dann die Wolken und dann den Regen.“

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